Timur D’Vatz (*1968 in Moskau) ist ein malender Weltbürger mit Ateliers in London und der Normandie. Auf der NordArt im schleswig-holsteinischen Büdelsdorf ist er mit gleich mehreren Bildern vertreten, darunter sein bisher größtes Werk „Fountain“. Nicole Büsing & Heiko Klaas sprachen mit ihm über seinen Werdegang, seine Inspirationsquellen und sein Selbstverständnis als Künstler in unruhigen Zeiten.
Nicole Büsing (NB) und Heiko Klaas (HK): Timur D’Vatz, Sie haben in Taschkent, Usbekistan, studiert und später Ihr Aufbaustudium in London abgeschlossen. Können Sie uns etwas über Ihre künstlerische Ausbildung an diesen so unterschiedlichen Orten erzählen? Timur D’Vatz (TD): Das Studium an der Kunsthochschule in Taschkent bot mir die perfekte Ausgangssituation, um meine künstlerische Ausbildung zu beginnen. Das College selbst bestand aus einer Reihe wunderschöner, alter, einstöckiger Gebäude in einem ummauerten Garten. Die Kunstausbildung fand aber auch außerhalb der Mauern der Kunsthochschule statt, in den von Bäumen gesäumten Straßen von Taschkent, die voller bunter Früchte und Menschen in farbenfrohen, traditionellen Kleidern waren. Dazu die Düfte von Pilaw (einem orientalischen Reisgericht), serviert auf Tellern aus blauer Keramik. Der Frühling war voller Blüten und Rosen, die in der ganzen Stadt wuchsen. In den heißen Sommermonaten reiste ich in die Berge mit ihrem frischen, kühleren Klima. Ich war mit meinem Malkasten unterwegs und fertigte Skizzen und kleine Gemälde an. Der Herbst war dann von den reich mit Früchten behängten Bäumen geprägt. Im Gegensatz dazu brachte der Winter reichlich Schnee. Usbekistan ist eine Reise durch die vier Jahreszeiten. Die Royal Academy Art School in London bereicherte mich um eine weitere Erfahrung. Zunächst einmal war es dort architektonisch ganz anders: klassisch und beeindruckend. Zudem gab es dort die Möglichkeit, mit verschiedenen Medien und Techniken zu experimentieren. Es gab dort ein gewisses Maß an Freiheit. Das erforderte aber auch Selbstdisziplin, da sich jeder Schüler auf die Entwicklung seiner eigenen Projekte konzentrieren musste. Ich hatte mein eigenes Studio mit Zugang zum Zeichensaal, zur Druckwerkstatt und zur Bibliothek. Die Royal Academy bot mir eine professionelle Plattform für den Einstieg in die Kunstwelt, inklusive einer Einführung in ihre sozialen und kommerziellen Aspekte. NB und HK: Mit welchen Themen und Medien haben Sie sich während des Kunststudiums beschäftigt? Welchen Einfluss hatten Ihre Lehrer auf Ihre Arbeit und Ihr künstlerisches Denken? TD’V: Hauptsächlich habe ich mich mit dem Thema der antiken Mythologie beschäftigt. Eine Reise nach Wales, bereichert durch meine Kenntnis Arthurianischer Legenden und deren tiefer Verwurzelung in den keltischen Mythen, gab mir viel Inspiration. Ich experimentierte daraufhin mit verschiedenen Techniken, um den richtigen Weg zu finden, das Thema auszudrücken. Nach ein paar Monaten der Suche fing ich an, sehr feines Seidenpapier zu verwenden, das beim Auftragen auf die Leinwand mit seinen ausgeprägten Falten eine sehr ungewöhnliche Textur als Hintergrund ergab. Meine Lehrer waren immer sehr ermutigend. Wir diskutierten über Farben, Proportionen und darüber, wie man seine eigenen Ideen in die Tat umsetzen kann. NB und HK: Sie sind ein Wanderer zwischen Welten und Zeiten. Inwiefern trägt Ihre persönliche Biografie zu Ihrer Offenheit gegenüber unterschiedlichen Kulturkreisen bei? TD’V: Aus irgendeinem seltsamen Grund ist jede Generation meiner Familie ausgewandert. Revolutionen und Kriege haben viele Mitglieder meiner Familie entwurzelt. Ich würde aber nicht sagen, dass es ein Fluch ist, sondern eher eine interessante nomadische Erfahrung, die erfrischt, bereichert und einem die Möglichkeit gibt, die Richtung des eigenen Lebens neu zu bestimmen; das hat mir das Gefühl gegeben, zur ganzen Welt zu gehören. Ich interessiere mich sehr für antike Mythologie und Etymologie – immer auf der Suche nach meinen Wurzeln. NB und HK: Welche Rolle spielten Ihre Eltern, die ebenfalls einen künstlerischen Hintergrund hatten, für Ihre künstlerische Ausbildung? TD’V: Meine Eltern waren meine ersten Kunstlehrer. Ganz wunderbar war, dass sie mich nicht in die Kunst gedrängt haben; sie gaben mir immer die Freiheit, meinen eigenen Weg zu wählen, aber als sie spürten, dass meine Leidenschaft in diese Richtung ging, geleiteten sie mich sanft dorthin. Ich habe von ihnen gelernt, dass Kunst die Fähigkeit voraussetzt, Schönheit zu erkennen. Das Erlernen des Sehens ist ein wesentlicher Bestandteil des Kunststudiums. NB und HK: Wie hat der Umzug nach Großbritannien Ihre Arbeit beeinflusst? Was waren die offensichtlichsten Unterschiede im Gegensatz zu Russland und Zentralasien? TD’V: Der Umzug in das Vereinigte Königreich hat mir einen faszinierenden Zugang zu neuen Themen verschafft – von der alten keltischen Mythologie bis hin zu den hohen Gewölben gotischer Kathedralen – Westminster, Salisbury und Canterbury. Meine Formate wurden hoch und schmal, die Figuren bewusst gestreckt. Als ich Russland und Zentralasien verließ, existierte noch die Sowjetunion. Damals war es schwierig, ins Ausland zu reisen und europäische Kunst und Architektur hautnah zu erleben. Der Mangel an Bewegungsfreiheit stellte einen ganz offensichtlichen Unterschied dar, denn Freiheit ist eine unverzichtbare Voraussetzung für jeden Künstler. NB und HK: Wie finden Sie ihre Motive? Was sind die vorbereitenden Schritte, bevor Sie mit dem Malen beginnen? Wir gehen davon aus, dass Sie viel in Ihrer scheinbar riesigen Bibliothek recherchieren… TD’V: Sie haben Recht, Inspiration kommt oft aus Büchern. Ich habe im Laufe der Jahre viele Bücher über Geschichte und Philosophie gesammelt. Ich genieße die Recherche sehr, denn sie führt einen in andere Zeiten und Dimensionen. In der Imagination entstehen Königreiche ohne Grenzen, Farben und Legenden, die sich zunächst in Skizzen manifestieren, um dann später auf der Leinwand lebendig werden. NB und HK: Die Jagd, der Falke, Rehe, Hunde, Pferde, Tiger, Leoparden, der Granatapfel usw. Sie verwenden universelle Symbole, die in der Lage sind, Grenzen zu überschreiten bzw. die Lücken zwischen verschiedenen Kulturen zu schließen. Wenn Sie mit verschiedenen Betrachtern Ihrer Bilder sprechen, verstehen diese sie auf eine gemeinsame Weise? Oder gibt es je nach Publikum in Ost und West, Orient und Okzident noch ganz unterschiedliche Herangehensweisen an Ihre Bildsprache? TD’V: Ich denke, Kunst ist universell. Kunst ist eine visuelle Sprache, die für jedermann zugänglich ist und mit ewigen und anschaulichen Bildern operiert. Die Sammler meiner Bilder sind in verschiedenen Ländern beheimatet. Sie haben ihre eigenen Interpretationen, aber das ist kein Hindernis für das Verständnis. Viele Symbole sind kulturübergreifend gleich. Künstler und Betrachter stehen im Dialog über Thema und Komposition; die Symbole können unterschiedlich gelesen werden, sie bedürfen jedoch keiner Übersetzung. Es gibt zwar nur wenige Geschichten mit Ewigkeitsanspruch; die Möglichkeiten, diese künstlerisch auszudeuten, jedoch sind unendlich. Historisch gesehen wurde Taschkent an der Kreuzung von Orient und Okzident gegründet. Die Seidenstraße war die Lebensader, die die byzantinische Welt manifestierte. NB und HK: Artuslegenden, keltische Mythologie, mittelalterliche Wandteppiche, z.B. der berühmte Teppich von Bayeaux, gotische Kunst, byzantinische Kunst, Renaissancekunst, manieristische Gesten… Ihre Bildsprache ist weitgehend von historischen Motiven und Mustern inspiriert. Was fasziniert Sie an diesen Epochen der Geschichte? TD’V: Ich bin ebenso inspiriert von der Symbolik, die sich innerhalb dieser Themen verbirgt, wie von der Universalität ihrer künstlerischen Ausformungen. Manchmal wirken diese bis ins Kleinste stilisiert oder gar naiv, aber gleichzeitig auch tiefgründig. Die Weisheit, die sich in künstlerischen Äußerungsformen zeigt, kann sehr inspirierend sein. NB und HK: Die Interaktion zwischen Menschen folgt gewissermaßen zeitlosen Regeln und Umgangsformen. Inwiefern würden Sie also sagen, dass Ihre Bilder, obwohl sie motivisch in der Geschichte verwurzelt sind, auch zeitgenössische Themen ansprechen? TD’V: Ich denke, es ist ein Fehler, sich von der Vergangenheit zu lösen. Wir alle durchleben immer wieder dieselbe Geschichte. Diese Geschichte veraltet nie. Traurigerweise gibt es Krieg, aber es gibt auch immer Liebe und Freude. Die Intensität der Farben, die Symbolik bestimmter Tiere und Gegenstände spiegeln das Drama des Lebens wider, das wir immer wieder erneut erleben – auch heute. Solange unsere Emotionen die gleichen bleiben, wird sich auch die Geschichte endlos wiederholen. NB und HK: Sie besitzen Studios an zwei ganz unterschiedlichen Orten: in einer urbanen Umgebung im Westen Londons und in einer viel ländlicheren Umgebung in der Normandie, Frankreich. Wie würden Sie die spezifische Atmosphäre dieser sehr gegensätzlichen Orte und das daraus entstehende künstlerische Ergebnis beschreiben? TD’V: Ich genieße den Kontrast sehr. Beide ergänzen sich gegenseitig und setzen unterschiedliche Energien für meine Kreativität frei. Man benutzt gerne das Bild von »Römern und Griechen« – Intellekt und Emotionen. London verkörpert für mich dieses »römische« Wissen, das ich genieße. Die ländliche Normandie vermittelt mir die lebenswichtige Energie der Erde. NB und HK: In einem Interview erwähnen Sie Ihre alchemistische Seite. Bitte erzählen Sie uns ein wenig über die experimentellen Aspekte Ihrer malerischen Praxis. Verwenden Sie unorthodoxe Materialien oder Methoden, um die gewünschten Endergebnisse zu erzielen? TD’V: Alchemie ist für mich der Weg der Schöpfung. Eigentlich ist bereits das Mischen von Farben schon Alchemie. Von der Recherche über die ersten Skizzen bis hin zum fertigen Gemälde ist es ein langer Weg. Ich nehme an, alle Profis haben ihr Handwerksgeheimnis. Für mich liegt das Geheimnis in der Selbstdisziplin und der Konzentration auf die eigene Arbeit und in der ständigen Bereitschaft, göttliche Inspiration zu empfangen. NB und HK: Würden Sie zustimmen, dass Ihre Bilder dem Betrachter auch etwas über Ihre persönliche Reise und Ihr Streben nach einem eigenen Ort zwischen Zentralasien, Russland, England und der Normandie erzählen? TD’V: Ja, da stimme ich zu. Jeder Künstler ist in seinen Kreationen immer subjektiv. Es gibt eine biografische Spur persönlicher Emotionen und des eigenen Weges, die in den Werken zum Ausdruck kommt. Sie haben Zentralasien, Russland, England und die Normandie erwähnt. Sie sind alle in meinem Herzen, weil sie alle Teil meiner Suche nach Erkenntnis sind. Ich arbeite derzeit an einem »perfekten Raum« in der Normandie. Ich möchte etwas Ähnliches schaffen, wie es Monet in Giverny hatte – ein Wohnhaus für die Familie, ein Atelier, eine Bibliothek und einen Garten. Ich habe auch die Idee, einen mythologischen Raum nachzubilden – inspiriert von Arthurianischen Legenden – man wandert durch den Wald und findet sich am Ende auf einer wunderschönen Wiese mit einer »Burg« in der Mitte wieder. NB und HK: Das Gemälde „Fountain“ wird, neben anderen ihrer Werke, auf der NordArt gezeigt. Mit Abmessungen von 250 x 600 cm ist es sicherlich eines Ihrer größten Werke überhaupt. Es wurde 2022 fertiggestellt. Da wir in unfriedlichen Zeiten leben, könnte es als Kommentar zur aktuellen Situation in der Ukraine und als Aufruf zum Frieden gelesen werden. Könnten Sie diesen Eindruck bitte näher erläutern… TD’V: Ja, in der Tat. Ich arbeitete noch an diesem Bild, als die schrecklichen Nachrichten über die Situation in der Ukraine uns alle zu schockieren begannen. Die ursprüngliche Idee hinter diesem Werk war es, eine lange zurückliegende Begebenheit darzustellen, die im frühmittelalterlichen Spanien im Königreich Cordoba stattfand – zu einer Zeit, als Muslime, Juden und Christen in ihrem Glauben und ihrer Suche nach ewiger Weisheit vereint waren. Einer Zeit des Friedens und des Wohlstands, die es den Menschen ermöglichte, sich auf den Humanismus und die Schönheit des Wissens und der Kunst zu konzentrieren. Meiner Ansicht nach hat der Künstler die immerwährende Verpflichtung, die aktuelle Realität zu reflektieren und Frieden und Schönheit in diese Welt zu bringen. Kürzlich habe ich eine Titelillustration für ein Buch gemacht, das von Justin Welby, dem Erzbischof von Canterbury, geschrieben wurde. Es trägt den Titel »Die Kraft der Versöhnung«. Das Buch wird bereits im Juni erhältlich sein. Es ist eine interessante Lektüre darüber, wie wir uns versöhnen und Lösungen finden können, sei es auf der Ebene von Staaten oder von Individuen. NB und HK: Lieber Timur D’Vatz, wir danken Ihnen für das Gespräch.